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Leserbrief zur Stundentafel

29.05.2018

Das G 8 geht, die Kernprobleme bleiben. „Nicht nur die Chemie stimmt nicht!“ Das Kultusministerium und die CSU versuchen der Öffentlichkeit zu suggerieren, dass mit der Rückkehr zum G 9 sämtliche Probleme des G 8 quasi mit einem Federstrich gelöst werden. Dass dies mitnichten der Fall ist und die Kernprobleme des G 8 nicht einmal im Ansatz gelöst wurden, wird derzeit schöngeredet, schließlich steht im Herbst die nächste Wahl in Bayern an. Die Entscheidung, auch im neuen G 9, die zweite Fremdsprache sozusagen im Doppelpack genau ein Schuljahr nach der ersten Fremdsprache einzuführen, führt dazu, dass für die erste Fremdsprache schon im zweiten Lernjahr nicht ausreichend Zeit zum Üben und Wiederholen zur Verfügung steht. Auch für wichtige Kernfächer wie zum Beispiel Mathematik wird die Zeit zum Üben und Konsolidieren in der Unterstufe dadurch knapp. Fächer wie Geografie müssen deshalb aus der 6. Klasse komplett weichen. Auch im G 9 wird deshalb den Eltern nichts anderes übrigbleiben, als den aus dem G 8 allseits bekannten und beklagten Doppelschlag Fremdsprache durch häusliche Nachhilfe in Form von Vokabelabfragen und Grammatikübungen abzufangen. Schülern aus bildungsfernen Elternhäusern wird der Zugang zum Gymnasium dadurch erneut erschwert. Fehlende Kenntnisse und ungesicherte Fertigkeiten aus der Unterstufenmathematik führen zusammen mit einer Stundentafel, in der auch im dritten Lernjahr der zweiten Fremdsprache mehr Stunden als der Mathematik zugebilligt werden, dazu, dass für den naturwissenschaftlichen Unterricht notwendige Rechenfertigkeiten nicht zur Verfügung gestellt werden
können. Obwohl dieses Problem schon seit 2012 im Kultusministerium bekannt ist, wird auch zukünftig der Physik-
und Chemielehrer seinen Schülern die Taste auf dem Taschenrechner zeigen müssen, mit der die Wurzel gezogen oder der Zehner-Logarithmus errechnet werden kann. Jeder Realschüler wird auch nach der Einführung des G 9 bis zur 10. Klasse mehr Mathematikstunden haben als Gymnasiasten. Schon jetzt sind deshalb Abiturienten, die über Realschule und FOS 13 den Weg in ingenieurwissenschaftliche Studiengänge gefunden haben, deutlich besser auf die Anforderungen vorbereitet. Daran wird sich nichts ändern. Besonders kritisch erscheint die Entscheidung, neben dem Fach Biologie in der 11. Jahrgangsstufe auch das Fach Chemie für etwa die Hälfte aller Gymnasien pausieren zu lassen. Universitätsprofessoren geben an, dass die Abiturienten der musischen, humanistischen, sprachlichen und wirtschaftssozialwissenschaftlichen Gymnasien aus dem achtjährigen Gymnasium die großen Defizite in ihrer naturwissenschaftlichen Grundbildung im Studium häufig nicht schließen können. Die Stundentafel für das G 9 ist in Kraft gesetzt. Kultusminister Sibler hat dabei erneut die Chance vertan, dringend notwendige Korrekturen vorzunehmen und das bayerische Gymnasium fit für die Zukunft zu machen. Die Herausforderungen der kommenden Jahrzehnte heißen Ressourcenschonung, Energiewende, Gesundheit und Arbeitsplatzerhaltung in einem von technischer Industrie geprägten Land. Entsprechende Fachkräfte sind dafür nötig. Das Kultusministerium rühmt sich oft damit, den MINT-Bereich an den Schulen zu stärken. Wenn es aber
darum geht, dies effektiv zu gestalten, vertut es seine Chance. Die Stundentafel des neuen G 9 führt zu einer Entwertung der allgemeinen Hochschulreife. Ein Umdenken bezüglich der Bedeutung der zweiten oder dritten Fremdsprache tut not – sie ist eben nicht das Alleinstellungsmerkmal des Gymnasiums. Der Forschergeist, der von den naturwissenschaftlichen und musischen Fächern gefördert wird, ist die Grundlage für eine zukunftsfähige Bildung. Auswendiglernen war gestern, Herr Sibler! Die angepriesene Förderung der digitalen Bildung wird ohne Mathematik und das von Naturwissenschaften angebahnte logische Denken zum Schuss in den Ofen.




Datei-Anhänge:

29_05_2018_nbk_21_e1d8c120c9.pdf



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