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Positionspapier zur Oberstufe im neuen G9

Positionspapier zur Oberstufe im neuen G9

23.04.2019

Die Teilhabe und Mitwirkung an gesellschaftspolitischen Diskussionen erfordert mehr denn je eine naturwissenschaftliche Grundbildung. Zunehmend stehen Fragen der Technikfolgenabschätzung und Risikobewertung im Fokus und erfordern einen fundierten wissensbasierten gesellschaftlichen Konsens. Themen wie



  • Digitalisierung und Künstliche Intelligenz,

  • Energiewende (Batteriezellforschung, Stromspeichertechnologien und Energietechnik),

  • Klimawandel,

  • nachhaltige Entwicklung incl. Kreislaufwirtschaft (Sustainable Development Goals),

  • Biodiversitäts- und Ressourcenmanagement (Bioökonomie),

  • neue Materialien oder neue Formen der Mobilität,

  • Bioengineering und (bio)medizinischer Fortschritt,


sowie die Herausforderungen einer alternden Gesellschaft bei weiterwachsender Weltbevölkerung, können nur sinnvoll angegangen werden, wenn die zugrundeliegenden Vorgänge und Naturgesetze verstanden und (bio)ethische und naturphilosophische Betrachtungen berücksichtigt werden.


Die gymnasiale Allgemeinbildung muss es jungen Erwachsenen ermöglichen, diese Themenfelder fachlich zu durchdringen. Nur dann können anschließend rechtliche, ethische und kulturelle Aspekte analysiert, bewertet und zwischen Alternativen wertebasiert entschieden werden. Eine fundierte naturwissenschaftliche Grundbildung sichert letztlich den technologischen Vorsprung unserer Wirtschaft und somit den Lebensstandard in unserem Land. Wir können uns weder einen Fachkräftemangel im MINT-Bereich, noch eine auf fehlendem Grundwissen basierende Technikfeindlichkeit leisten.


Die Verbände fordern daher eindringlich:



  • Eine Gleichstellung des mathematisch-naturwissenschaftlich-technischen Aufgabenfeldes mit dem sprachlich-literarisch-künstlerischen Aufgabenfeld in der neuen gymnasialen Oberstufe in Bayern in Bezug auf die Belegungsverpflichtungen/Stundenzahl und die Abiturprüfung. Unter anderem muss es – wie bei den Sprachen – möglich sein, auch zwei Naturwissenschaften bzw. eine Naturwissenschaft und Informatik als Abiturprüfungsfächer wählen zu können.

  • Die Einführung von Vertiefungsfächern und grundständigen Fächern, um eine stärkere interessengerechte Profilierung bei gleichzeitiger Vertiefung zu ermöglichen. – Konkret: drei fünfstündige Vertiefungsfächer und dreistündiger Unterricht im grundständigen Niveau in den Naturwissenschaften und Informatik, so wie in den Fremdsprachen.

  • Mindestens das Schließen der Chemie-Lücke in der 11. Jahrgangsstufe aller nicht-naturwissen­schaftlichen Gymnasien, besser auch das Schließen der Biologie-Lücke, um die Vorgaben von KMK und BayGSO nach einer Belegungsverpflichtung der Abiturprüfungsfächer in der Orientierungsstufe zu erfüllen.


Umsetzungsmöglichkeiten zu den Forderungen im Einzelnen:


Gleichstellung der Aufgabenfelder


Die Abiturprüfung sollte weiterhin aus drei schriftlichen (Vertiefungsfächer) und zwei mündlichen Prüfungen bestehen. Um die o. g. Anforderungen zu erfüllen, muss - anders als bisher geplant - sichergestellt sein, dass drei der Abiturprüfungsfächer aus den vier Bereichen Deutsch, Mathematik, Fremdsprachen und Naturwissenschaften und ein weiteres aus dem Bereich der Gesellschaftswissenschaften stammt. Damit ist eines der drei schriftlichen Abiturprüfungsfächer über die Vertiefungsfächer frei wählbar. Insbesondere muss es als erweiterte Förderung von naturwissenschaftlich interessierten Schülerinnen und Schülern und gemäß der Gleichstellung zu den Sprachen auch möglich sein, zwei Naturwissenschaften oder eine Naturwissenschaft und Informatik als Abiturfächer wählen zu können.


Die Verbände fordern eine Einbringung von mindestens vier Halbjahresleistungen für eine Naturwissenschaft zusätzlich zu Mathematik – unabhängig von der Anzahl der belegten Fächer aus dem mathematisch-naturwissenschaftlich-technischen Aufgabenfeld.


Einführung von Vertiefungsfächern und grundständigen Fächern


Vertiefungsfächer ermöglichen eine verstärkte Auseinandersetzung mit abstrakten Inhalten und fördern durch das stärker wissenschaftspropädeutische Arbeiten die Studierfähigkeit. Gleichzeitig ermöglichen sie eine interessengerechte fachliche Profilierung sowie eine effizientere Begabtenförderung. Die Rückkehr zum G9 bietet die Chance, durch ein sinnvolles und interessengerechtes Profilierungsangebot in der Oberstufe den Studienerfolg auch im MINT-Bereich wieder zu verbessern, um im internationalen Vergleich nicht abzufallen. Ein für alle gleich verpflichtendes vierstündiges Kernfach Mathematik kann dies ebenso wenig leisten, wie lediglich zweistündige grundständige Kurse in den Naturwissenschaften.


Eine begabungs- und interessengerechte Oberstufe, die auch den Anforderungen im Bereich der digitalen Bildung und der MINT-Bildung gerecht werden kann, erfordert fünfstündige Vertiefungsfächer nach Wahl der Schülerinnen und Schüler, die dann auch abiturrelevant sein sollten.


Es wäre daher sinnvoll, grundsätzlich drei Vertiefungsfächer einzurichten, davon zwei verpflichtend aus den Bereichen Deutsch, Mathematik, Fremdsprache oder Naturwissenschaften. Gerade im MINT-Bereich, genau wie in den Sprachen, sollte unbedingt vermieden werden, weniger als drei Unterrichtsstunden zu unterrichten, da sonst die komplexen Unterrichtsinhalte kaum vermittelt werden können. Neben Mathematik sollten mindestens zwei Naturwissenschaften bzw. eine Naturwissenschaft und Informatik belegt werden können.


Schließen der Chemie- und der Biologie-Lücke in der 11. Jahrgangsstufe


Eine 11. Jahrgangsstufe ohne Biologie- und Chemieunterricht kann eine Orientierung hin zu den MINT-Fächern nicht im notwendigen Maße leisten. Ein moderner Oberstufenunterricht im Fach Biologie ist ohne fundiertes chemisches Grundwissen kaum möglich. Zukunftsträchtige Studiengänge aus dem Bereich der Heilberufe, der Bio-, Chemie- und Ingenieurwissenschaften sind ohne eine breite naturwissenschaftliche Fundierung in der Oberstufe kaum studierbar. Die hohen Abbrecherquoten im MINT-Bereich sprechen hier eine deutliche Sprache.


Um den Schülerinnen und Schülern der humanistischen, sprachlichen, musischen, sozialwissenschaftlichen und wirtschaftswissenschaftlichen Gymnasien in der Oberstufe einen gleichberechtigten Zugang zum Biologie- und Chemieunterricht in der Kursphase der Oberstufe (12./13. Klasse) zu ermöglichen, muss entweder durch das Einrichten von Wahlpflichtkursen oder durch Stundenreduktion in anderen Fächern in der 11. Klasse zumindest Chemieunterricht angeboten werden. So lässt sich auch die Empfehlung der Kultusministerkonferenz (KMK) zu einer Belegungsverpflichtung der Abiturprüfungsfächer in der Orientierungsstufe wieder erfüllen.


Alternativ bietet es sich an, einem Teil der Schülerinnen und Schülern an nicht-naturwissenschaftlichen Gymnasien eine naturwissenschaftliche Umprofilierung an ihrer Schule zu ermöglichen, indem diese in der 11. Jahrgangsstufe ihr jeweiliges Zweigprofilfach (z. B. Griechisch, 3. Fremdsprache, Wirtschaft, Musik/Kunst) durch ein 3-stündiges Profilfach (Bio)Chemie ersetzen können. Dies bedeutet, dass bereits im Unterricht zur beruflichen Orientierung in der 9. + 10. Jahrgangsstufe die Schülerinnen und Schüler systematisch auf eine Profilierung in der Oberstufe und eine mögliche Studien- und Berufsorientierung vorbereitet werden müssen.



Mit der Veranstaltung „Gymnasiale Oberstufe 4.0 – von Humboldt zum Start-Up?“ hat das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus das Ziel der Oberstufenreform aus Sicht der Verbände richtig definiert.


Dieses Ziel lässt sich aber nicht dadurch erreichen, dass man mit einem „das haben wir schon immer so gemacht“ den Blick auf die Erfordernisse für eine zukunftsfähige gymnasiale Bildung verstellt. Deshalb ist es zwingend notwendig, dass den Naturwissenschaften Biologie, Chemie und Physik, sowie der Informatik, in der Oberstufe des bayerischen Gymnasiums und in der Abiturprüfung der Stellenwert eingeräumt wird, den diese Fächer in der Lebenswelt innehaben.


Für die Einzelverbände haben unterzeichnet:



  • Bernhard Heer, Landesvorsitzender MNU LV Südbayern

  • Christian Bauer, Landesvorsitzender MNU LV Franken

  • Birger Pistohl, Vorsitzender VCBG

  • Prof. Dr. Wolfram Koch, Geschäftsführer Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh)

  • Prof. Dr. Franz X. Bogner, Zentrum zur Förderung des mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts Z-MNU Universität Bayreuth

  • Prof. Dr.-Ing. habil. Dr.h.c. Johannes Huber, Sprecher des Forums Technologie der Bayerischen Akademie der Wissenschaften BAW

  • Dipl. Biol. (EurProBiol) Peter Niesslbeck, Vorsitzender des VBIO LV Bayern, Vorsitzender des Referates Freie Berufe im Verband Biologie, Biowissenschaften und Biomedizin in Deutschland e.V. VBIO, BDBiol - Berufsvertretung Deutscher Biologen e.V., Vizepräsident European Countries Biologists Association (ECBA), Vorsitzender des internationalen EurProBiol-Gremiums der European Countries Biologists Association (ECBA), Mitglied des Umweltausschusses der vbw, Delegierter des VBIO und BDBiol im Verband Freier Berufe in Bayern e.V. (VFB), Vertreter des Verband Freier Berufe in Bayern e.V.  im AK Nichtverkammerte Freie Berufe des Bundesverband Freier Berufe.




Datei-Anhänge:

190415_Standpunkt_GymOberstufe_G9_final.pdf
20190414_AnschreibenPiazolo_final.pdf



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